Autor Thema: Presse- und Medienstimmen zu WFTSC  (Gelesen 28190 mal)

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Offline confusion

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Kritik bei Plattentest.de
« Antwort #15 am: 08. April 2005, 16:15:47 »
Polyphon

Zum fünfundzwanzigsten Bandjubiläum sind wieder einmal alle Augen auf New Order gerichtet. Ihr überragendes Comeback mit "Get ready" klingt noch in allen Ohren. Überall wimmelt es von Bands, die sich mehr oder minder auf die Mancunians beziehen. Grund genug, jetzt mit "Waiting for the sirens' call" nachzulegen. War schon der Vorgänger erstaunlich gitarrenlastig, machen New Order jetzt Nägel mit Köpfen: Keyboarderin Gilian Gilbert wurde durch Klampfen- und Tastenmann Phil Cunningham (Electronic) ersetzt. Und dies ist durchaus symbolträchtig. Denn New Order 2005 stehen für beides: Gitarrenrock und Synthpop. Einmal mehr.

Die herzhaft zirpenden Gitarren von "Who's Joe" machen genau da weiter, wo "Crystal" und Co. aufhörten. Der Baß schnurrt, der Drumcomputer scheppert, und fertig ist ein weiterer mit leckerer Melancholie abgeschmeckter Ohrwurm aus dem Hause New Order. In "Hey now what you're doing" das gleiche Spiel. Bernard Sumners Kleinjungenstimme und die Gitarrenflocken tänzeln lockerleicht durch die Gegend, und man merkt eigentlich nur an der Produktion, daß hier tatsächlich das Jahr 2005 geschrieben wird. So genüßlich zupackend war Pop in den Achtzigern nämlich selten.

Die bittersüß zuckende Single "Krafty" oder das wuchtige "Morning night and day" klingen wie die Harmlosigkeit in Person, verstecken in ihrem Understatement aber jede Menge Raffinesse. Das niedliche Glockenspiel, die kleine Tücke im Wohlklang, der unversehens herabnieselnde Zwischenton - und wieder landen New Order einen Treffer. Den man natürlich erst bemerkt, wenn der Ball längst hinter der Linie liegt. Zum Knutschen.

Vielleicht treten einem die Hits dieses Mal nicht mehr so spontan auf die Füße wie es zuletzt "Turn my way", "60 miles per hour" oder "Crystal" machten. Vielleicht finden die versammelten Spätvierziger mitunter erst ein wenig zu spät zum Abschluß, so daß der eine oder andere Moment an der Belanglosigkeit zu schrammen scheint. Aber auch "Waiting for the sirens' call" wuchert derart mit pfundigen Melodien, daß sich die Radiopromoter bestimmt schon die Hände reiben: Wegen des arschwackelnden Tanzflächenstoffs "Guilt is a useless emotion". Oder dem Lipgloss von "Jetstream", in dem Scissor Sister Ana Matronic mitseufzen darf. P.O.P. Und ganz am Schluß wartet mit "Working overtime" sogar noch ein schnoddriger Klopfer, auf den Damon Albarn mächtig stolz wäre. New Order sind auch auf ihrem neunten Album prächtig unsortiert.

Oliver Ding http://www.plattentests.de/rezi.php?show=2870
 

Offline Svenner

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Re: Presse- und Medienstimmen zu WFTSC
« Antwort #16 am: 08. April 2005, 16:49:04 »
Menno, wenn ich das alles so lese, würde ich sagen "Album des Jahres" bei den Kritikern.
Aber es kommen ja noch 8 Monate.
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Offline confusion

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Ein Beispiel, warum wir die taz nicht brauchen
« Antwort #17 am: 08. April 2005, 17:00:14 »
Menno, wenn ich das alles so lese, würde ich sagen "Album des Jahres" bei den Kritikern.
Aber es kommen ja noch 8 Monate.

Es gab auch eine andere Kritik. Falls es noch eines Beispiels bedurft hätte, warum wir die taz nicht brauchen: http://www.taz.de/pt/2005/03/29/a0198.nf/text.ges,1

DAS BRINGT DIE WOCHE

MUSIK II: New Order, vormals Joy Division, beglücken ihre Fans ab heute mit "Waiting For The Sirens' Call" (WEA). Nachdem ihr Comeback-Album "Retro"  :iamwithstupid: überraschend gut kritisiert und verkauft wurde, haben die Veteranen nun die Zügel leider wieder schleifen lassen. So träge und sämig geht die Musik dahin, dass wir uns fragen, warum New Order nicht endlich tun, was sie anderen Musikern ihres Alters gern empfehlen: "Rechtzeitig aufhören!"

 

Offline confusion

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Eins Live: Die Musik / Die neuen Platten / Unsere Tipps / New Order
« Antwort #18 am: 08. April 2005, 20:06:20 »
Über New Order lässt sich schlecht schreiben, ohne in ihrer Vergangenheit zu graben. Denn die vier aus Manchester sind eine der wenigen Beispiele, bei denen der Begriff "Kultband" nicht wie eine Floskel klingt. New Order gründeten sich nach dem Ende der düsteren Post-Punk-Combo Joy Division, nachdem deren Sänger Ian Curtis Selbstmord begangen hatte. 25 Jahre ist das inzwischen her - und New Order machen immer noch Alben.

"Waiting For The Sirens' Call" ist ihr achtes Studioalbum und ist nicht mehr und nicht weniger als ein klassisches New Order-Album mit den Sounds, für die New Order schon in den 80ern standen: kühle Synthie-Sounds vermischt mit dem Gitarrensound; wenig überraschend zwar, aber bewährt. "Told You So" mit seinen poppigen Reggae-Beats und der Gastauftritt von Scissor Sisters Sängerin Ana Matronic sind die zeitgemäßen, etwas unerwarteteren Momente des Albums - und "Guilt Is A Useless Emotion" ist die vielleicht schönste Elektro-Gitarrenballade seit langem. Den Superhit, der sofort zündet, gibt es nicht; was nicht schlimm ist, sondern dazu einlädt, "Waiting For The Sirens' Call" als das Gesamtkunstwerk anzuerkennen, das es ist - schließlich sind New Order Profis und Inspiration für eine Menge neuer Bands - wie The Killers, Bloc Party und Franz Ferdinand.

"Die Freude, immer noch bei New Order zu sein, ist, dass man das Gefühl hat, immer noch etwas zu erreichen.", sagt Bassist Peter Hook. Und deswegen sind New Order 2005 genau so wichtig wie 1983.

Laura Scheiter Eins Live
 

Offline Trigan

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zum EinsLive Artikel von Laura Scheiter
« Antwort #19 am: 08. April 2005, 20:14:52 »
Ist ja durchaus positiv zu lesen, allerdings ist "Post Punk Combo Joy Division" mal unter aller Kanone. Ne Combo ist für mich die Max Greger Band aber nich JD!   :argue:
 

Offline confusion

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taz, die II.: Viel Walter-Röhrlhaftes
« Antwort #20 am: 08. April 2005, 20:17:19 »
Brillanz und Mittelmaß: Das neue Album von New Order, "Waiting For The Sirens' Call"

Walter Röhrl gilt als einer der erfolgreichsten Rallyefahrer aller Zeiten, und wie es sich für große Sportstars gehört, gibt es eine Klamottenkollektion unter seinem Namen. Hemden mit dem Schriftzug "W. Röhrl" stellt adidas her, und ein blaues aus dieser Produktreihe trägt Peter Hook bei der Promofoto-Session für "Waiting For The Sirens' Call", das nunmehr achte Album von New Order. Weil die musikalische Entsprechung zu Walter Röhrl irgendwo zwischen Genesis und Dire Straits zu suchen wäre, tut es weh, Hook in so einem Hemd zu sehen - und sich auszumalen, er gebe womöglich etwas auf das "echte Motorsport-Flair", das die Adidas-Werbung beschwört. Ausgerechnet er, einer der wichtigsten Bassisten des Erdballs. Seine Art, in den hohen Lagen des Basses Melodien zu spielen, die stets freundlich ins Zentrum eines Stücks vordringen, ist unverwechselbar, ihm sind unzählige Male Bassläufe gelungen, die dem Hörer im Gedächtnis geblieben sind wie sonst nur Refrains. Peter Hook ist übrigens mittlerweile 49 Jahre alt, aber das ist keine Entschuldigung, denn auch in diesem Alter darf man noch längst nicht alles.

Das Problem mit "Waiting For The Sirens' Call" ist, dass durchaus etwas Walter-Röhrlhaftes in der Platte steckt. Beschämend geradezu: das Stück "I Told You So" mit seinem dorfdiskokompatiblem Reggae-Einschlag. Auch andere Versuche, sich Sounds anzueignen, die außerhalb des New-Order-Universums liegen, misslingen, wie etwa das flache "Jetstream", bei dem eine von den Scissor Sisters mitsingt. Das ist indes weniger als die halbe Wahrheit, denn die Platte enthält auch schmissige Gitarrenpopsongs. Sie greifen die Aufbruchstimmung des Comebackalbums "Get Ready" auf, das 2001 nach achtjähriger Pause erschien. Mit "Krafty" gibt es sogar ein Stück, das das Zeug zum Bandklassiker hat, sowie mit "Guilt Is A Useless Emotion" einen Gassenhauer für die Fitnessstudiobeschallung, bei dem New Order ihre typische Fähigkeit beweisen, ein Stück gerade noch vorm Umkippen ins allzu Billige zu bewahren.

Eine Haltung zu "Waiting For The Sirens Call" einzunehmen, wird durch den Respekt vor der Geschichte der Band erschwert: Die erste große Leistung war es, 1980 aufzuerstehen aus den Ruinen der unvermindert einflussreichen Gruppe Joy Division, obwohl sich deren vermeintlicher Protagonist, der Sänger Ian Curtis, aufgehängt hatte. Mit "Blue Monday" schrieben New Order 1983 ein Schlüsselstück der Popgeschichte: einen Dancefloor-Hit zwischen Post-New-Wave und Prä-Techno, der die Musikwelt umgewälzt hat wie "Anarchy in The UK". Die Maxi hatte ein kongeniales Cover, nachempfunden dem Design einer Floppy Disc, Vorläufer der Diskette und damals der heiße neue Datenträger. 1987 lieferte ihre Single "True Faith" die Vorlage für ein Video von Philippe Decoufle - das mit den Typen, die sich rhythmisch Backpfeifen verpassen, und der Schildkröte, die sich in Zeichensprache artikuliert -, einem Klassiker der Clipgeschichte. Durch ihre Plattenverkäufe sicherten New Order darüber hinaus lange die Existenz des Factory-Labels und des legendären Hacienda-Clubs.

Nicht zu vergessen, dass New Order zwischen 1983 und 1985 unter dem Namen Be Music Dance-Tracks produzierten für zu Unrecht vergessene bzw. niemals wahrgenommene Bands wie Section 25, Ouando Quango oder Thick Pigeon. Hinter dem Pseudonym Be Music verbarg sich mal Hook, mal Sänger Sumner, mal das bandinterne Ehepaar Steve Morris/Gilian Gilbert (sie ist mittlerweile ausgestiegen), und einige der Produktionen beweisen wie mancher New-Order-Hit, dass diese Typen in Sachen Underground Dance ihrer Zeit voraus waren.

Zwischendurch indes waren New Order auch immer mal wieder mittelmäßig, und insofern ist es auch kein Anlass für Ärger, dass "Waiting For The Sirens' Call" letztlich nur eine mittelmäßige Platte ist. Ungut beeinflusst wird die eigene Haltung von der bisherigen Rezeption der Platte: Oft kommt da eine Freude darüber zum Ausdruck, dass die alten Jungs es noch können, und so etwas klingt stets nach muffigem Gedankengut. Die Verwunderung darüber, dass der Sound so frisch ist, wird gern garniert mit dem Hinweis, dass Comebacks und Reunions bis vor einiger Zeit ja noch als kulturelle Kapitalverbrechen galten.

Dabei ist die Wahrheit profan: Sänger Bernard Sumner, auch er fast 50, sagte dem Spiegel, er sei Alkoholiker, aber seit Anfang der Neunzigerjahre trocken, und heute treibe er Sport, wenn er sich auf eine Tournee vorbereite. Unter allen Menschen, die heute auf die 50 zugehen, ist der Anteil jener, die rechtzeitig diese oder jene Sucht überwunden haben, viel größer als in vorigen Generationen, und Sport treibt in dieser Altersgruppe jeder, der Höchstleistungen vollbringen muss. So gesehen sind New Order nur ein Beispiel für jung gebliebene Alte, die in allen Bereichen der Gesellschaft auf sich aufmerksam machen. Dieses Phänomen wird uns wohl noch viele Durchschnittsplatten bescheren, die momentweise brillant sind.

RENÉ MARTENS http://www.taz.de/pt/2005/04/02/a0384.nf/text.ges,1
 

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WOM-Magazin
« Antwort #21 am: 11. April 2005, 19:27:42 »
Deutschlands meistgelesene Musikzeitschrift gibt WFTSC 4,5 von 5 Sternen.
Zitat
Sicherlich, irgendwie alles ziemlich bekannt. Allerdings auf höchst angenehme Art.

Weiterhören-Tipps: Monaco "Music for Pleasure" und Joy Division "Closer"
« Letzte Änderung: 11. April 2005, 19:34:30 von confusion »
 

Offline confusion

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Die neue Ordnung nach dem Tod (Kölnische Rundschau)
« Antwort #22 am: 16. April 2005, 09:29:50 »
Am Anfang stand die Katastrophe. Ohne sie hätte es die Band nie gegeben. So aber war die tragische Geburtsstunde von New Order der 18. Mai 1980 - jener Tag, an dem Ian Curtis seinem Leben ein Ende setzte. Curtis war Sänger von Joy Division, einer Combo aus Manchester, deren Musik ebenso düster, kalt und depressiv war wie die gequälte Seele ihres von Selbstzweifeln und Todessehnsucht zerfressenen Frontmannes. Ohne Joy Division wäre New Order undenkbar. Und dennoch musste all das, was Joy Division verkörperte, vergehen, damit New Order - neu orientiert - leben konnte.

„Der Schmerz war zu groß, es dauerte, bis wir ohne Ian Musik machen konnten“, berichtete Bassist Peter Hook in einem Interview mit dem „Musikexpress“. Auch ein neuer Name kann Vergangenes eben nicht gleich vergessen machen. Gitarrist Bernard Sumner, der als eher unscheinbarer Charakter das schwere Erbe des extravaganten, auf der Bühne von epileptischen Anfällen geschüttelten Curtis antrat, spricht vom „Überlebenskampf“ als einziger Vision.

Entsprechend unausgegoren und wenig selbstsicher klingt das Debüt „Movement“ von 1981. Zu stark noch wirkte Curtis Geist nach. Chancenlos wie Don Quichote im Kampf gegen Windmühlen versuchte Sumner, den Verstorbenen zu kopieren; und es dauerte noch zwei lange Jahre - bis zur Platte „Power, Corruption and Lies“ - ehe die eigene Identität gefunden war. Von diesem Zeitpunkt an jedoch, besonders mit „Low-Life“ (1985) und dem vor Hits schier berstenden „Substance“ (1987), nahmen New Order eine rasante Entwicklung. Sie wurden zu Ikonen der elektronischen Popmusik. Stücke wie „Subculture“ oder „True Faith“ inspirierten zahllose Bands.

Das Meisterstück indes gelang mit dem Track „Blue Monday“ (1983), der mit minimalen Beats maximale Wirkung erzielte und noch immer als meistverkaufte Maxisingle der Welt gilt. Irgendwie passt es zu der bewegenden Geschichte New Orders - die 1990 mit einer Trennung vermeintlich endete, durch das furiose Comeback „Get Ready“ 2001 jedoch ihre Fortsetzung fand -, dass dieser vielleicht ursprünglichste aller Dance-Tracks zunächst wenig Freunde in der Band fand.

Und nun also „Waiting for the Sirens Call“. Nach Ausflügen in Techno- und Acid-House-Gefilde sowie gitarrenlastigen Momenten ist das neue Album zwar eine Rückbesinnung auf alte Tugenden. Es ist aber auch New Orders Weg in die Zukunft. „Where will it end?“, fragte Ian Curtis im Stück „Day of the Lords“ auf dem mit Todesahnungen vollgepackten, letzten Joy-Division-Album „Closer“ (1979). Er hat sich die Antwort im Mai 1980 selbst gegeben. Die alten Freunde suchen noch.

Frank Weiffen Kölnische Rundschau

 

Ruined in a day

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"Stagnation? Schon." Besprechung in der jungen Welt
« Antwort #23 am: 18. April 2005, 20:45:19 »
http://www.jungewelt.de/2005/04-18/027.php


junge Welt vom 18.04.2005
 
Feuilleton
Stagnation? Schon.
Supergruppen links von der Mitte, aber nur eine Superplatte: Die neuen Werke von Daft Punk und New Order
Marek Lantz
 
Der Begriff der Supergroup hatte seine Hochkonjunktur in den siebziger Jahren. Yes, Abba, Fleetwood Mac oder Queen beispielsweise. Damalige Kennzeichen: Bestehend aus einer Ansammlung individualisierter Musiker-Persönlichkeiten mit globalem Bekanntheitsgrad, ausgestattet mit der Zuschreibung einer fundierten musikhandwerklichen Kompetenz, drei bis fünf Hitsingles pro Album. Funktionieren konnten solche Supergroups nur in einer Popwelt, die noch weitgehend als zusammenhängend wahrgenommen wurde. Die in den Neunzigern vollzogene Segmentierung von Märkten und Musikstilen stand erst bevor. U2 wäre heute vielleicht die einzige Band, der sich ansatzweise ein solcher Status bescheinigen läßt.

Lächerlich und gemeinsam

Während Individual-Popstars wie Madonna hinsichtlich ihres Stellenwerts in der globalen Pop-Ökonomie noch am ehesten die Tradition der Supergroups fortschreiben, kommt anderen ein derartiger Status zumindest innerhalb eines Genresegments zu. Der einst wegweisende französische Techno/Electronica-Act Daft Punk und die englische Indie-Legende New Order beispielsweise. Beide haben kürzlich ihr neues Album veröffentlicht. Zwei Produktionszusammenhänge, die zwar nicht unbedingt viel gemeinsam haben, aber deren Musik in den letzten Jahren zumindest im weiteren Sinne ein Referenzpunkt für Leute war, die noch wenigstens irgend etwas in ihrem Leben anders als die meisten anderen machen wollten. Irgendwie Pop links von der Mitte, auch wenn das der lächerliche letzte gemeinsame Nenner ist.

Hier Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo, die späten Techno-Wunderkinder, die Mitte der Neunziger mit »Da Funk« Techno wieder das Rocken lehrten, mit ihrem großartigen 1997er Debütalbum »Homework« French House begründeten und seither zur ersten Riege des Genres gehören. Wenn Daft Punk etwas veröffentlichen, wird das als Aussage zum aktuellen State of the Art der Popkultur gelesen, nicht als bloßes Dancefloorfutter. Dennoch verweigern die beiden hartnäckig den feuilletongerechten Medien-Auftritt und beharren auf der ursprünglichen Geste der Techno-Kultur, die Kommunikationsverweigerung hieß: Keine Fotos, keine PR. Wir tragen sowieso Masken, nur die Musik zählt.

Dort New Order, die klassische Band. Vier Mittvierziger, allesamt wenig aufregende Gymnasiallehrerexistenzen, die – anfangs noch als Joy Division – seit der 1977er Punkexplosion Musik machen. Mit »Blue Monday« 1983 die erste verkaufsträchtige Maxi der Musikgeschichte abgeliefert, schon Mitte der Achtziger als Indieband mit elektronischen Sounds gearbeitet, wurde es später ruhig um sie. 2002 dann »Crystal«. Ein Berg von einem Song, die aufgeklärte und von jeglicher genretypischen Schwanzfixiertheit freie Rockhymne schlechthin.

Emerson, Lake & Daft Punk

Zunächst Daft Punk: Hingerotzt würde »Human after all« wirken, sagen manche. Prog-Rock, Art-Rock sind die ersten Assoziationen. »Emerson, Lake and Daft Punk« – so ungefähr. »Robot Rock«, die Single, arbeitet mit einem einzigen Led-Zeppelin-Riff und exegiert das fünf Minuten durch. Charmant, aber dröge. Die französischen Kollegen Rhinocerose können das besser. Trotzdem sticht auf dieser Platte der unbedingte Wille zur Radikalität heraus. Alle Motive sind reduziert auf ihre Essenz. Bratzloops, die sich wahlweise dem Progrock annehmen oder pubertäre Späßken reißen. Am Vocoder haben Daft Punk nach wie vor großen Spaß. Daft Punk machen jetzt im Prinzip genau die Musik, gegen die sie einmal angetreten sind. Und halten, wohlwollend formuliert, der immer langweiligeren Techno-Kultur damit den Spiegel ihres eigenen ästhetischen Non-Dezisionismus vor. Kohle, Kommerz und das Bedienen aktueller Trends regeln nahezu alles. Allein der Gedanke, daß jemand andere Motive haben könnte, scheint inzwischen abwegig. Die verhaßte Haltung des altlinken Kulturkritiker-Opas – mehr fällt einem dazu nicht mehr ein. Verwaltete Dancefloorwelt allenthalben, Daft Punk geht so oder so darin unter.

Trivialität, volle Kraft voraus!

Unglaublich, wie frisch dagegen »Waiting for the Sirens’ Call« klingt. New Order sind einfach nur New Order, aber das reicht völlig. Sie machen genau da weiter, wo »Get ready« vor drei Jahren aufhörte. Stagnation? Schon. Aber immerhin wenigstens Stagnation. Man ist ja inzwischen leicht zufriedenzustellen. »Hey Joe«, der Opener, setzt gleich mal den Refrain auf ein schmuckes Streicherwölkchen, »I told you so« spielt mit waschechten Rave-Signalen, »Morning Night and Day« zitiert am Ende noch mal »Crystal«, und »Turn« ist ein phantastisch instrumentiertes Gitarrenpopepos geworden. Ein Song und eine Zeile überragen jedoch alles andere: »You and me just can’t go wrong« im größten Pop-Zucker dahingesungen, das rafft jeden dahin. »Guilt is a useless Emotion« heißt der Überflieger-Song. Dragostea 2005, aber mindestens – sonst verstehe ich die Welt nicht mehr.

Und über Bernard Summers Gabe, trivialste Zeilen voll suggestiver Kraft zu schreiben und auch noch an der richtigen Stelle zu plazieren, ließen sich ganze Universitätsseminare abhalten. Alles nur vages Irgendwie, aber genau deswegen ganz toll. Mit der alten New Wave-Combo XTC gesprochen: »This is Pop!«. Und zwar mitten in die Fresse rein. Ganz ohne wehzutun. Pop fürs neue Biedermeierzeitalter, na und!

* Daft Punk: »Human after all« (EMI), New Order: »Waiting for the Sirens’ Call« (Warner)
 

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Offline martin10018

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Re: "Stagnation? Schon." Besprechung in der jungen Welt
« Antwort #24 am: 19. April 2005, 14:45:22 »
Och mein Gott was können wir modern schreiben. Nichts für mich Anfang-Vierziger...
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